erschienen im stadtkultur magazin, Ausgabe 12 | März 2010.
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Stadtkultur goes Recht auf Stadt?!

Die GWA St. Pauli engagiert sich im Rahmen des Gentrifizierungs-Prozesses in St. Pauli und schuf mit dem Film „Empire St. Pauli“ ein viel beachtetes Statement zum Thema.

AutorInnen: Rebecca Lohse und Steffen Jörg

Noch vor nicht allzu langer Zeit war Gentrifizierung ein wissenschaftlicher Spezialbegriff der Stadtsoziologie, den nur die Wenigsten kannten, geschweige denn benutzten. Einzug in eine breitere Öffentlichkeit hat der Begriff 2007 gefunden, als bekannt wurde, dass gegen einen Berliner Stadtsoziologen ein Verfahren nach §129a (Mitglied einer terroristischen Vereinigung)

eingeleitet wurde. Der Wissenschaftler forschte zu Gentrifizierung und wurde – weil die „Militante Gruppe“ in einem Anschlagsbekennerschreiben dieses Wort verwandte – allein durch die Verwendung des Begriffs verdächtig. Aktuell müsste demnach gegen viele Menschen ermittelt werden, denn in Hamburg wird seit ca. einem Jahr breit in der Öffentlichkeit über Gentrifizierung und Stadtentwicklung diskutiert.

St. Pauli z.B. gilt momentan als eines DER Gentrifizierungsbeispiele in Hamburg. Vom ehemals ärmsten Stadtteil Hamburgs avancierte der Kiez zu einem der teuersten Quartiere. Geringverdienende Bevölkerungsgruppen werden aufgrund von Mietsteigerungen oder immer teurer werdender Infrastruktur verdrängt. Wer über wenig finanzielle Mittel verfügt oder gar zusätzlich über einen nicht deutschen Nachnamen, findet hier keine neue Wohnung mehr. Doch hat diese Entwicklung ihre Wurzeln schon weit vor der Zeit, als das Thema anfing, durch die Schlagzeilen und Feuilletons zu ziehen. Schon in den 1980er Jahren gab es aktive Bestrebungen, das Flair der Reeperbahn weg vom Schmuddel-Rotlicht-Image hin zum „Entertainment-District“ zu verändern. Dies sollte nicht nur mehr Touristen anlocken, sondern auch Besserverdienenden im innerstädtischen Bereich Wohnmöglichkeiten und Freizeitspaß bieten. Die Auseinandersetzungen um die Hafenstraßen-Häuser waren einer der am stärksten sichtbaren Ausdrücke städtischer Konflikte, nur dass damals noch niemand von Gentrifizierung gesprochen hat. Beschleunigt wurden diese Entwicklungen in letzter Zeit durch die Bebauung des Bavaria-Brauereigeländes, die Privatisierung des Spielbudenplatzes, den Abriss und Neubau

der sogenannten „Trommel-/Lincolnstraßen“-Häuser.

All dies zeugt von einem Verständnis von Stadtentwicklungspolitik, dass nur auf das Anlocken sogenannter Leistungsträger der Gesellschaft ausgerichtet ist. Die Ökonomisierung der Stadtentwicklungspolitik, die eine Stadt nicht als heterogenes, vielfältiges Gemeinwesen, sondern als Unternehmen betrachtet, hat ihren Ursprung in den 1980ern und findet ihre Konkretisierung im Leitbild der „Wachsenden Stadt“, das Dank der GAL nun mit Weitsicht umgesetzt wird.

Die GWA St. Pauli greift solche Themen auf und bezieht dabei immer Position für Benachteiligte solcher Entwicklungen, wie z.B. bei der Durchsetzung des von Menschen aus dem Stadtteil geplanten „Park Fiction“ in den 1990er Jahren. Auch aktuell gibt es auf St. Pauli verschiedene Aktivitäten, an denen sich die GWA beteiligt. Das „Aktionsnetzwerk gegen Gentrification“ hat sich gegründet und in der Bernhard-Nocht-Straße wehren sich Anwohnerinnen und Anwohner gegen die Realisierung eines von Investoren geplanten „Bernhard-Nocht-Quartiers“. Mit ihren Aktionen konfrontieren die Anwohner auch die Politik: Eine Stadt gehört nicht nur Personen mit dem entsprechenden Geld für Eigentumswohnungen. Die Stadt ist ein Gemeinwesen und keine Kuh, die es zu melken und zu verkaufen gilt.

Im Frühjahr 2007 initiierte die GWA das Filmprojekt „Empire St. Pauli“. In mehr als zehn Monaten wurden über 90 Menschen interviewt. Entstanden ist ein Zeitdokument, das St. Pauli Süd in seiner Breite dokumentiert und die massiven Veränderungen aufzeigt. Zwischen „aktivierender Befragung“ als Methode und klassischem Dokumentarfilm hat das Projekt es aber auch in einer nicht zu erwartenden Dimension geschafft, das Thema Gentrifizierung in der Presseund politischen Öffentlichkeit zu verankern und vor allem Menschen dazu zu ermutigen, sich aktiv und widerständig für die Gestaltung ihres Lebensumfeldes einzusetzen.

Stadtteilkulturzentren sind mehr als Veranstaltungsorte kultureller Angebote. Sie sind mehr als nur alternative Spielorte mit günstigeren Eintritts- und Getränkepreisen. Es geht auch darum, Raum für politische Auseinandersetzungen sowie die aktive Gestaltung des sozialen und kulturellen Gemeinwesens zu befördern. In den aktuellen Auseinandersetzungen in Hamburg um eine andere Stadtentwicklung entstehen neue Orte soziokultureller Bedeutung wie das „Centro Sociale“ im Schanzenviertel oder die Häuser des Gängeviertels in der Innenstadt. Sie entspringen selbstorganisierten Gruppen – wie einst viele der Stadtteilzentren – und sollten hier Unterstützung erfahren. Eine Reduzierung der Anliegen beispielsweise der Initiative des Gängeviertels auf mehr Raum für Kunst und Kreativität in der Hamburger Innenstadt – wie von der Presse und Politik häufig formuliert – verkürzt und entpolitisiert ihre Anliegen. Es geht um Freiräume, soziale Räume und das Recht auf Beteiligung in der Stadt.

Ein zentraler Konsens der vielen Initiativen, die sich in dem Netzwerk „Recht auf Stadt“ zusammengeschlossen haben, ist die Forderung nach realer Teilhabe an Entscheidungen der Stadtentwicklung, danach, das Gemeinwesen in den Mittelpunkt zu stellen. Statt vermeintlicher Beteiligungsworkshops, an deren Ende doch alles ignorierende Architektenentwürfe den Zuschlag erhalten, wollen Anwohnerinnen und Anwohner mitentscheiden: Darüber, ob in ihrer Straße ein großes Möbelhaus einzieht, darüber, ob die nächsten 80 Eigentumswohnungen gebaut werden, oder darüber, ob über 300 Bäume für die Realisierung eines Kohlekraftwerks weichen müssen.

Die sich momentan entwickelnde Bewegung macht Mut, dass das Thema Stadtentwicklung weiter im öffentlichen Diskurs bleibt und grundlegende Veränderungen erreicht werden können. Stadtteilkulturzentren müssen dies in ihrer Arbeit aufgreifen. Somit ist es nur folgerichtig sich dem Thema „Recht auf Stadt“ in der Stadtkultur-Szene zu widmen und in gemeinsamen Diskussionen zu eruieren, welche Rolle Zentren in diesen und zukünftigen Auseinandersetzungen einnehmen können und sollten.

Kontakt:

GWA St. Pauli e.V.

Hein-Köllisch-Platz 12, 20359 Hamburg

040/319 36 23, info@gwa-stpauli.de, www.gwa-stpauli.de