FunParkFiktion

Theater auf St. Pauli

Eine Theaterproduktion der GWA St.Pauli e.V.

in Kooperation mit THEATER AM STROM und dem Trägerverein Gesundheitszentrum St. Pauli e.V.

Regie und Inszenierung: Alina Gregor

Textbuch und Dramaturgie: Christiane Richers (Theater am Strom)

Musik: Eva Engelbach-Brüggemann

Kostüme: Heike Hallenga

Requisitenbau: Tina Erosovà

Produktionsleitung: Christine Filipschack, Rike Salow

Regieassistenz: Maren Hoff

Technik: Matthias Cassun

Ton: ARENTIS / Jan Krause

Fotos: Kristina Wedekind

 

Diese Theaterproduktion hatte am 28.4.2012 Premiere und wurde im Sommer 2012 elf mal gespielt.

 

 

 

Angela Dietz vom Theatermagazin GODOT war bei der Premiere und schrieb dazu:

 

 

Der Authentizitätsfaktor

"FunParkFiktion" auf St. Pauli

Alles Fun, alles echt, alles wahr: Das Leben auf St. Pauli ist eine einzige schrille Reality Show. So stellen Autorin Chris­tiane Richers und Regis­seurin Alina Gregor den Stadt­teil ironisch überdreht in „FunPark­Fik­tion“ dar. Das Spek­takel spielt dabei virtuos mit den Versatz­stü­cken vieler Genres bis hin zum Agit­prop. Wieder setzt das nunmehr fünfte Stadt­teil­thea­ter­pro­jekt dabei auf das Zusam­men­spiel von Profis und Laien, Erwach­senen und einer Hand­voll Kinder – eine Koope­ra­tion der GWA (Gemein­we­sen­ar­beit St. Pauli) mit dem Theater am Strom und dem Träger­verein des ansäs­sigen Gesundheitszentrums.

Am Anfang steht die Spuren­suche der Leichenumriss-Zeichnerin (Frauke Siebke). Doch eigent­lich sucht sie nicht, sie legt Krei­de­spuren, denn „ohne Spuren wären wir verloren.“ Ein Verweis auf den Hinter­grund des thea­tralen Rund­gangs, der gleich mehr­fach ins Komi­sche gewendet wird. Der Leichenumriss-Zeichnerin folgt nämlich Holmes (Eric Ahnfeldt) mit einer Riesen­lupe (Requi­si­tenbau: Tina Erosovà). „Blood, Sex and Crime“ – das brau­chen auch die Produ­zenten der Reality-Show.

Ein Chor zieht als Casting-Agentur durch die zugigen Häuser­schluchten des Stadt­teils an der Hafen­kante und kobert das Publikum. Vom Atlantic Hoch­haus über das Gesund­heits­zen­trum mit seinem Baum im Glas­haus, über die Kersten-Miles-Brücke bis zum Bismarck Denkmal wandert die Truppe und mit ihr das Publikum.

Die Casting-Harlekine spielen in den Kostümen von Heike Hallenga, im schwarzen Rock mit weißem Revers und weißen Manschetten, ein pinkes, winziges Harlekin-Mützchen ziert den Kopf: „Future, pure on the rocks auf history“. Sie waschen Geld, geifern und gieren, rauchen Zigarre und locken mit spitzen Fingern. Und sie wollen den alten Paul im Roll­stuhl (Daniel Neumann) mitsamt den armen Kindern casten, ange­führt von Paula Pauline (Jasmina Karla Arja). „Für unsere heißen fünf Minuten – take your chance!“ Für die Talents­couts, immer auf der Suche nach dem Authen­ti­zi­täts­faktor, sind die „rest-realen Kinder“ schwer zu finden.

Selbst­ver­ständ­lich fallen der alte Herr Paul und die Kinder mit ihren Erin­ne­rungen an kunst­voll verzierte, schmie­de­ei­serne Balkone und den alten Tauma­cher mit seinen Gold-Dollar-Zigaretten beim Casting durch. Denn in den Augen der Show-Produzenten sind das alles Laden­hüter. Aber die Agenten, Koberin und Ava Diva (stark, auch bei Wind und tech­ni­schen Irri­ta­tionen: Karin Zicken­draht und Annika Lock), suchen schon den nächsten Kandi­daten: „Hat hier noch jemand Erin­ne­rungen oder echte Probleme?“

Da ist er wieder, der Authen­ti­zi­täts­faktor, ohne den die Show nicht auskommt. Und das wird noch weiter getrieben. Wenn Paul und die Kinder auf der Seewar­ten­straße demons­trieren, wie der fran­zö­si­sche Autor Stéphane Hessel „Empört euch!“ rufen und drohen, ihre Gegner über die Planken gehen zu lassen, dann lautet der Kommentar: „Das hat ja Event-Charakter!“ Die Koberin lässt ein ums andere Mal ihr Koloratur-Gelächter hören.

Neben rest-realen Figuren tauchen im Programm die anderen St.Paulianer auf, die berühmten, von Hein Köllisch, dem Humo­risten, Lied­texter und Sänger, über Stör­te­be­cker, Kersten Miles, Hans Albers bis Dome­nica. Manchmal werden sie nur erwähnt, manchmal spielen sie mit, wie Dome­nica (Marlies Laurent als schwarzer Engel auf der Schaukel). Wenn Deutsch­lands einst berühm­teste Prosti­tu­ierte und Sozi­al­ar­bei­terin mit einer jungen Möchtegern-Hure in einen Dialog tritt, entsteht plötz­lich einer jener Momente des Inne­hal­tens, die berühren.

Inmitten des schön-schrillen Spiels gibt es starke Momente. So, wenn Paul im Roll­stuhl ganz allein singt: „Warte auf mich. Draußen ist es zu dunkel für einen allein.“ Daniel Neumanns inter­pre­tiert den Element of Crime-Song mit leicht schiefen Tönen, was unter die Haut geht (Musik: Eva Engelbach-Brüggemann). Oder, wenn die Kinder, alle­samt im Grund­schul­alter, auf der Treppe zu Füßen Bismarcks landen und dort über Otto’s Mops von Ernst Jandl rappen.

Mit FunPark­Fik­tion ist Ensemble und Produk­ti­ons­team ein höchst unter­halt­sames, schrilles Spek­takel gelungen, das mit Komik, tief­schür­fenden Szenen und Selbst­ironie einen thea­tra­li­schen Kommentar zur Gentri­fi­zie­rung auf St. Pauli liefert.